Kapitel 1: Charaktervorstellung
„So, endlich fertig“, rief Nina und beendete schwungvoll den Satz, den sie gerade geschrieben hatte.
Während die anderen noch an ihren Charakteren feilten, hatte sie sich schon Gedanken über die Hintergrundgeschichte ihres Helden gemacht und die wichtigsten Stichworte kurzerhand
aufgeschrieben.
„Wir sind auch so weit“, sagte Eli vom Esstisch aus, an dem er mit Robin gesessen und über Talente gefachsimpelt hatte.
„Ich brauche nur noch einen passenden Namen“, warf Jack vom Sofa aus ein.
Robin nickte zustimmend und sie gesellten sich alle wieder zum Sofa.
„Für den Namen brauche ich auch immer am längsten“, antwortete Eli leidend.
„Also meine Heldin heißt Salea Wolkenschwinge“, rief Nina stolz und hob ihr Heldendokument.
„Willst du uns deine Heldin kurz vorstellen? Dann weiß jeder von euch schon einmal grob, mit wem er es so zu tun hat“, fragte Eli und Nina nickte zustimmend. Sie machte es sich auf dem Sofa
bequem und atmete einmal tief ein, um sich in die Rolle hineinzufinden.
„Mein Name ist Salea Wolkenschwinge. Ich bin die Tochter eines Himmlischen der Antharius und einer sanarischen Menschenfrau. Da ich mit wunderschönen weißen Flügeln geboren wurde, die an den Spitzen ins bläuliche übergehen, wuchs ich bei meinem Vater auf einer fliegenden Insel auf. So ist der Brauch, wenn das Kind Flügel hat. Dadurch habe ich allerdings meine menschliche Mutter nie kennengelernt, denn meine Eltern lebten nicht zusammen.
Schon als Kind war ich sehr neugierig und erkundete ständig meine Umgebung. Je älter ich wurde, desto öfter ging ich auch auf längere Reisen, um die Gegend zu entdecken und Abenteuer zu erleben.
Nun bin ich 18 Jahre alt und habe deshalb beschlossen, meine bisher größte Reise anzutreten. Ich habe die fliegenden Inseln verlassen und bin nach Marath geflogen, um dort Schätze zu finden,
Gegenden zu erforschen und vielleicht eines Tages nach Sanar zu reisen, um meine Mutter kennen zu lernen.
Da meine Flügel so eine schöne weiß-blaue Färbung haben, hat mein Vater mir den Beinamen Wolkenschwinge gegeben, den ich mit Stolz trage. Ich habe blonde Haare und violette Augen und trage meine
langen Haare meistens zu einem Zopf gebunden, damit sie mich nicht stören.“
„Du hast dir schon wirklich viele Gedanken gemacht“, sagte Robin ehrlich beeindruckt.
„Ist von euch schon jemand soweit, dass er seinen Charakter vorstellen kann?“, fragte Eli die anderen beiden Jungen. Robin sah auf sein Heldendokument hinunter und runzelte die Stirn.
„Ich denke, ich könnte es versuchen.“ Er sammelte seine Blätter zusammen, machte es sich in seinem Sessel etwas bequemer und begann mit tiefer Stimme zu sprechen:
„Ich bin Arivol Schattenwanderer. Ich bin ein Dämon und wurde natürlich in der Zerrwelt geboren. Meine Arbeit als Fährtenleser zwingt mich dazu, viel zu reisen, da ich oft kontaktiert werde, wenn wieder mal ein Monster aus der Zerrwelt durch ein Portal nach Marath gelangt ist. Es ist dann meine Aufgabe, das Vieh wieder einzufangen oder sogar zu töten, je nachdem wie gefährlich es werden kann. Ich bin eher wortkarg und verschlossen, dennoch habe ich auch eine lustige Seite, die aber eher dann zum Vorschein kommt, wenn ich Leute besser kenne.
Ich bin ein großer Tierfreund und sehr naturverbunden, da ich die meiste Zeit auch in der Wildnis lebe. Bei einem großen Waldbrand in meiner Heimat, habe ich mir eine große x-förmige Brandnarbe in meinem Gesicht zugezogen, die mich etwas entstellt.
Meine Ohren sind spitz, meine Haare schwarz und etwas länger, deshalb trage ich sie ebenfalls zu einem Zopf gebunden und ich habe rote Augen. Ich bin 18 Jahre alt und auf der Suche nach einem entlaufenen Monster aus der Zerrwelt, weshalb ich aktuell in Marath anzutreffen bin.“
Eli nickte anerkennend. Jack merkte, wie er etwas nervös wurde.
„Hast du dir das gerade alles ausgedacht?“, fragte er angespannt. Robin zuckte mit den Schultern.
„Im Grunde ist es ja nichts sehr Aussagekräftiges. Mein Charakter hat offenbar keine richtige Vergangenheit, anders als die Heldin von Nina. Ich habe einfach ein bisschen die Texte aus dem
Regelwerk genommen und mir etwas zusammengebastelt, das einigermaßen gepasst hat. Fährtenleser sind oft Tierfreunde und wortkarg. Außerdem werden sie hin und wieder damit beauftragt, entflohene
Monster zu suchen, da sie ja ihrer Fährte folgen können und sich mit der Tier- und Pflanzenwelt auskennen. Es ist nicht so schwer, ein bisschen zu improvisieren und sich so einen Charakter zu
erstellen. Natürlich muss er auch zu einem passen. Aber ich denke, ich bin mit Arivol Schattenwanderer sehr zufrieden“, grinste er. Jack schluckte etwas nervös und blickte runter auf seinen
Charakterbogen. Würde sein Held überhaupt in die Gruppe passen?
„Soll ich meinen Charakter vorstellen, damit du noch ein bisschen Zeit zum Überlegen hast?“, bot Eli an und Jack nickte erfreut. „Ja, das wäre super.“
„Gut, mein Name ist Junario Funkenfeder. Ich bin ein Xariix, also ein verbotenes Kind, das sowohl von einer Himmlischen als auch von einem Dämon
abstammt. Meine Mutter gebar mich im Geheimen in ihrer Heimat auf den fliegenden Inseln der Herax. Das sind die Heiler unter den Himmlischen, aber auch die prinzipientreusten und strengsten der
Engel. Sie hatte Angst, dass wir beide direkt verbannt werden würden, wenn herauskam, dass ich das Kind eines Dämons war. Glücklicherweise wurde ich allerdings ohne Aura geboren. Ihr müsst wissen,
wenn ein Xariix geboren wird, kann es sein, dass er spitze Ohren wie ein Dämon hat, dafür aber eine helle Aura wie ein Himmlischer. Dadurch wissen natürlich alle magischen Wesen, die die Aura spüren
können, dass es sich dabei um ein verbotenes Kind handelt.
Anderseits kann es aber auch passieren, dass das Kind, so wie ich, Flügel und normale Ohren besitzt und somit zwar aussieht wie ein Himmlischer, dafür aber eine dunkle Aura hat, wie die Dämonen.
So oder so, jedes magische Wesen ist in der Lage, ein verbotenes Kind schnell zu enttarnen, wenn er ihm nah genug kommt, um seine Aura zu erspüren. Da es aber selten auch vorkommen kann, dass ein
magisches Wesen ohne Aura zur Welt kommt, kann man einen Xariix nicht mehr erkennen. Das dachte zumindest meine Mutter und zog mich als normales himmlisches Kind groß. Wie in meiner Kultur
üblich, wurde ich früh in die Heilkunst und Trankkunde eingeführt und schlug den Weg eines Medicus ein.
Meine Mutter erzählte mir nie, dass ich ein halber Dämon war, ich dachte immer, mein Vater sei früh verstorben, und so wuchs ich sehr behütet auf. Eines Tages jedoch ging eines meiner
Trankexperimente schief. Das war wohl der Moment, in dem ich das erste Mal richtige Todesangst hatte und ich verwandelte mich plötzlich in einen Fuchs. Mir war klar, dass das nicht normal war.
Ich kannte die Geschichten von den Xariix.
Früh wird den jungen Engeln beigebracht, dass diese eine Gefahr für alle darstellen und nicht dazugehören. Mir wurde bewusst, dass meine Mutter mich all die Jahre belogen hatte. Ich konnte mich
in ein Seelentier verwandeln. Etwas, was nur erfahrene Tiermagier oder Dämonen schaffen. Ich musste ein Xariix sein. Als ich sie mit dem Wissen konfrontierte, gestand sie mir alles. Sie sagte,
dass sie es nur für meinen Schutz geheim gehalten hatte, doch ich konnte nicht reinen Gewissens unter den anderen Himmlischen leben, wenn ich eine Gefahr für sie darstellen könnte. Und anderseits
waren sie auch eine Gefahr für mich, denn jeder Xariix, der von den Himmlischen erwischt wurde, wurde von den fliegenden Inseln verbannt und ihm wurden in einem magischen Ritual die Flügel
genommen. Soweit wollte ich es nicht kommen lassen. Ich packte also recht überstürzt einige Sachen zusammen und erzählte allen, dass ich eine längere Forschungsreise unternehmen würde. Somit habe
ich die fliegenden Inseln verlassen und suche nun eine neue Heimat und ein neues Leben auf Marath.
Aktuell bin ich 20 Jahre alt, ich habe hellbraune Haare, hellblaue Augen und meine Flügel sind rotbraun, weshalb ich den Beinamen Funkenfeder erhalten habe.“
Jack starrte Eli an. „Hast du wirklich gedacht, das würde mich ermutigen, wenn du mit so einer ausgearbeiteten Geschichte ankommst?“, fragte er. Nina lachte laut auf, während Eli sich verlegen am Kopf kratzte.
„Mach dir nichts draus. Eli hat das Regelwerk schon durchgelesen. Er konnte sich schon viel länger und ausführlicher Gedanken machen als wir“, warf Robin ein.
„Das stimmt“, sagte Nina und hob einen Finger. „Und es ist nicht so schlimm, wenn die Hintergrundgeschichte nicht allzu ausgearbeitet ist.“
„Naja, wenn ihr das sagt“, meinte Jack und drehte nervös seinen Bleistift in der Hand.
„Na los, wir wollen endlich deinen Charakter kennen lernen!“, rief Nina und die anderen beiden nickten bestätigend. Jack atmete zur Beruhigung einmal tief ein. Es war ihm unangenehm, wenn er so im Rampenlicht stand, auch wenn es nur seine Freunde waren, die ihn sehen und hören konnten.
„Also gut. Mein Name ist Lurix Drachenherz. Ich bin ein Morin, also ein Engelsdrache und das Kind einer Geschuppten und eines Himmlischen. Ich wurde mit geschuppten Drachenflügeln geboren, anstatt mit Engelsflügeln, was recht selten ist.
Da meine Mutter an einer Krankheit starb und ich meinen Vater nie kennengelernt habe, war ich schon recht früh auf mich allein gestellt. Ich schloss mich einem Zirkus an, in dem ich aufgrund meines Aussehens eine Attraktion und eine Kuriosität war. Doch vor ein paar Jahren wurde der Zirkus aus Geldgründen aufgelöst, manche schlossen sich anderen Gauklern an oder suchten sich einen neuen Zirkus, doch ich wollte nicht so weitermachen und beschloss, dass ich etwas anderes mit meinem Leben anfangen wollte als Leute zu bespaßen. Also beschloss ich als Entdecker erst einmal auf Reisen zu gehen, um mich selbst besser kennenzulernen und mir eines Tages ein neues Leben aufbauen zu können.
Ich bin 22 Jahre alt, habe rotbraune Haare, grüne Augen und mein Körper ist mit grünen Schuppen übersät. Außerdem habe ich grün geschuppte Drachenflügel, mit denen ich auch fliegen kann, wenngleich ist das nicht oft mache, da es vielen Menschen Angst macht. Sie denken dann wohl, ich bin ein kleiner Drache, wenn sie den Schatten über sich hinwegfliegen sehen. Ich bin noch recht weltfremd, da ich außer dem Zirkus nicht viel kannte und mich nun allein durchschlagen muss.“
Jack verstummte und sah die anderen erwartungsvoll an. Robin reckte beide Daumen und Nina nickte lächelnd.
„Das sind alles sehr gute Charaktere! Ob gewollt oder nicht, haben wir alle dafür gesorgt, dass sie sich aktuell auf Reisen in Marath befinden und somit wird es nicht allzu schwierig sein, sie alle zusammenzuführen“, rief Eli begeistert.
„Jetzt nimmt sich jeder ein paar Würfel und dann beginnen wir zu spielen!“
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